Gute Idee, leidliche Ausarbeitung
Die 16-jährige Hanna Harlof verschlägt es, dank neuem Job des Vaters, ins fernöstliche Shanghai. Während sie versucht sich mit der neuen Umgebung anzufreunden merkt sie, dass merkwürdige Dinge vorgehen. Verkürzte Schatten, schwarze Schmetterlinge die im Licht verpuffen und eine Heuschreckenplage die vom Wind in die Stadt getragen wird werden nur noch übertroffen durch den attraktiven Hiro, der sich ihr als Dämon vorstellt. Durch das nachsichtige Treiben eines anderen Dämons ist ein Riss zwischen der Welt der Dämonen und der Welt der Menschen entstanden und beide werden untergehen, wenn es Hiro und Hanna nicht gelingt, den Riss zu schließen.
Grauer Stein. Sein Innerstes bestand aus Granit und eine unbändige Wut durchströmte seinen Körper, der keine Abwehrmöglichkeit besaß.
– Prolog
Im ersten Moment dachte ich Meltword Shanghai erinnert mich irgendwie an Big Trouble In Little China - diesem kultig, trashigen Film aus den 80er Jahren mit Kurt Russell in der Hauptrolle. Für kurze Augenblicke kann das Buch diesen Eindruck durch bildhafte Beschreibungen, einem nostalgischen Charme und mystischen Charakteren wie Drachen und Dämonen auch immer mal wieder erschaffen. Leider sind dies eher Momente, die in der Kürze eines Wimpernschlages wieder verschwinden.
Erzählt wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, die sich Kapitel für Kapitel abwechseln. Während diese Art der Aufteilung viele Leser stört, fand ich das schon immer sehr interessant und war deswegen auch in Meltworld Shanghai erst einmal angetan. Die drei Hauptfiguren sind Hanna, Hiro und eine Seele, Es, die nicht weiß was mit ihr geschehen ist, wie sie in den Straßen Shanghais gelandet ist, was sie einmal war, als sie noch lebte und diese Seele lässt sich nun in dem Körper eines müden Straßenhundes nieder. Das ganze Buch hindurch bleibt dieser Charakter die lebendigste und interessanteste Perspektive, weil er den Hauch von Neugier weckt und durch die Amnesie nicht gleich alle Geheimnisse für den Leser lüftet. Etwas blasser kommt Hiro daher, der seines Zeichens als Dämon in die Menschenwelt geschickt wurde, um dort einen anderen Dämon zu finden der über die Strenge schlägt und das Gleichgewicht der beiden Welten in Gefahr bringt. Völlig eindimensional fällt die eigentliche Hauptfigur, Hanna aus. Schlimmer noch, sie ist zudem auch noch entsetzlich unglaubhaft. Man stelle sich einmal vor mit 16 Jahren aus dem gewohnten Umfeld gerissen und in ein fremdes Land gebracht zu werden. Die natürliche Reaktion darauf wäre entweder eine wahnsinnige Begeisterung, wenn man die Welt entdecken will oder, was ich in dem Alter für wahrscheinlicher halte, eine Stinkwut auf die Eltern und die Welt im allgemeinen. Was ich an Hannas Stelle sicher nicht tun würde, wäre alle meine Facebook-Freunde löschen und jeglichen Kontakt zu meinen Freunden in der Heimat abbrechen. Einfach so ohne Grund. Zwischendurch ist sie mal ein bisschen pampig gegenüber den Eltern, allerdings ohne Bezug zum Umzug, sodass sich mir nicht erschließen will, inwiefern die Eltern daraus eine Kritik rekonstruieren sollen, auch wenn der Autor uns immer mal wieder sagt, dass Hanna total wütend deswegen sei. Eine andere Kleinigkeit sind Hannas Einträge bei Facebook, die der Autor interaktiv eingebaut hat, sprich, gibt man die Links aus Hannas Postings im eigenen Browser ein, findet man echte Treffer (sofern die Seiten noch existieren). Die Idee ist ja durchaus schön, leider ergeben sie keinen Sinn. Für wen posted Hanna diese Links? Sie hat doch gerade alle ihre Kontakte gelöscht.
Separat betrachtet machen die Helden des Romans also schon nicht zu viel her, im Miteinander möchte man als Leser dann aber vor Verzweiflung schon fast den Kopf unter den Armen verstecken. Hiro und Hanna begegnen sich kurz in der Bücherei, am nächsten Tag erneut und nachdem sie sich insgesamt etwa zwanzig Minuten kennen, offenbart Hiro der lieben Hanna alles über sich und seine (geheime) Mission. Ehrlich? Zwanzig Minuten auf zwei Tage verteilt, mit einer völlig fremden Person und dann vertraut man der die dunkelsten Geheimnisse an? I don’t think so …
Hanna indes ist natürlich auch null überrascht und total gefasst, was angesichts des Kalibers von Hiros Enthüllungen doppelt unglaubhaft wird. Von hier aus begeben sich beide dann auf die Queste zur Rettung der Welt, die kaum weniger spektakulär hätte ausfallen können. Kaum taucht ein Problem auf, wird es im nächsten Satz (keine Untertreibung) schon wieder gelöst oder entschärft. Die Eltern lassen ihre Tochter bei allem einfach gewähren, hinterfragen nichts und scheinen ohnehin nur pro Forma im Buch zu sein.
In manchen Dingen ist das Buch realistischer bzw. ehrlicher ist als die meisten aktuellen Jugendbücher, die eigentlich eher merkwürdige bis fragwürdige Romanzen beschreiben. So versucht der Autor nicht zu vertuschen, dass auch Teenager bereits sexuelle Empfindungen haben und steht damit der umgreifenden Prüderie und dem triefenden Kitsch anderer Werke gegenüber. Neben ein paar anzüglichen Bemerkungen driftet der Autor bei den Tanzbar-Szenen im mittleren Teil allerdings zu etwas ab, dass ich als Altherrenphantasie bezeichnen würde und ein wenig geschmacklos fand.
Letztlich kann man bei diesem Buch eigentlich nur eines wirklich positiv hervorheben und das ist die äußere Aufmachung. Neben einem wirklich tollen Cover wurde auch auf den Innenteil viel Wert gelegt. Ein schicker Buchsatz mit einer ansprechenden Typo, kleine Ziergrafiken in Form von chinesischen Drachen und gelegentlich Illustrationen, passend zum Geschehen. Wirklich schade, dass der Inhalt diese Aufmachung nicht widerspiegelt.
Persönlicher Frustfaktor:
Obwohl ich mich für eine sehr aufmerksame Leserin halte die auch gerne mal zwischen den Zeilen nach versteckten Informationen sucht, habe ich den Epilog auch nach mehrfachem lesen nicht verstanden. Ich habe wirklich keine Ahnung, wessen Perspektive der entsprungen ist und somit erklärt sich mir auch nicht, wie das Ende nun wirklich aussieht. Falls es jemand verstanden hat, klärt mich bitte auf! Solche ungelösten Sachen machen mich wahnsinnig …
Fazit:
Das Buch startet mit einer Idee die wirklich neugierig gemacht hat und ein spannendes Setting verspricht. Es gibt durchaus Bücher die deutlich schlechter sind als dieses und so war es trotz der vielen Mängel nicht zu schwer bis zum Ende durchzuhalten. Leider fehlt Meltworld Shanghai letztlich trotzdem jeder Tiefgang, die Personen bleiben bis zum Schluss blass und unglaubwürdig, sodass man nur noch den Kopf schütteln und dem verschenkten Potential nachtrauern kann.