Ein MI6 für übernatürliches? Da bin ich dabei!

The Rook - Daniel O'Malley

Myfanwy Thomas erwacht inmitten eines Parks, der Regen prasselt unbarmherzig auf sie nieder, sie hat Prellungen und Verletzungen am ganzen Körper … und keine Ahnung wer sie eigentlich ist oder weshalb ein Ring toter Menschen mit Latexhandschuhen bekleidet um sie herum liegt.

Um eine frische Amnesie reicher, findet sie in ihrer Jackentasche einen Brief von ihrem alten Ich an sich selbst, der vor allem eines rät: bring dich sofort in Sicherheit!

Dear You,
The body you are wearing used to be mine.

 

The Rook ist ein Buch das mich gleich zu Beginn überrascht hat. Eine halbe Ewigkeit lag es unbeachtet auf meiner Wunschliste herum, weil ich annahm es handle sich dabei wieder um eines dieser Jugendbücher, in denen die Protagonistin Boyfriend-Issues und romantisches Geschnulze durchlebt das einem dann als phantastisches irgendwas verkauft wird. Herrschaften, was lag ich falsch!

Der Roman bietet eine grandiose Mischung aus Akte-X, James Bond und Monthy Python. Mit ganz viel trockenem und sarkastischem Humor, mysteriöser Ausgangslage, übernatürlichen Geheimagenten und Intrigen in den eigenen Reihen, schickt Autor Daniel O’Malley die Leser auf eine abenteuerliche und sehr unterhaltsame Reise in die urbane Phantastik. Es scheint ja doch eher Tradition zu sein, dass London bzw. Großbritannien nur noch für Geschichten im viktorianischen Zeitalter mit Gaslicht-Atmosphäre herhalten darf. The Rook bricht mit diesem Schema und verfrachtet die Leser in ein modernes London, in dem das Übernatürliche längst nicht der Vergangenheit angehört.

Die Protagonistin ist insgesamt sehr ungewöhnlich. Schon ihr Erscheinungsbild ist so erfrischend normal, dass man Myfawny einfach ins Herz schließlich muss. Anfang dreißig, nicht gerade groß gewachsen, mit braunem Haar, ein paar Speckpölsterchen und einem Allerweltsgesicht - wie sie selbst feststellt, als sie sich das erste Mal im Spiegel sieht. Keine Granate, aber hübsch, so ihr objektives Fazit nach dem Check. Eigentlich ist sie zudem ein Bürohengst und kümmert sich um den ganzen administrativen Kram, während ihre Kollegen im Außeneinsatz die wirklich gefährlichen Dinge tun. Naja, das war zumindest die alte Myfanwy, die sich vor ihrer eigenen beeindruckenden Gabe gefürchtet hat und sich nicht einem unbekannten Feind in den eigenen Reihen stellen musste.

Als "Rook" ist Myfanwy Thomas eine hochrangige Spezialagentin der geheimen Checquy Gruppe. Die Checquy bestehen allein zu dem Zweck, die Öffentlichkeit vor den übernatürlichen Gefahren zu schützen und sie in glückseliger Unwissenheit über die Existenz solcher Dinge zu lassen. Bei den Checquy darf niemand etwas von Myfanwys Amnesie erfahren, andernfalls würde man sie vermutlich einfach weg sperren oder gar etwas dauerhafter "unschädlich" machen. Um dies zu verhindern hat die alte Myfawny, die durch Prophezeiungen verschiedener Personen gewarnt war und wusste, dass sie ihrer Erinnerungen beraubt werden würde, einen ganzen Koffer voller Briefe und sauber sortierter Informationen für die neue Myfanwy hinterlassen. Durch diese Briefe und Notizen findet sich nicht nur die Protagonistin unentdeckt in das Leben ihrer Vorgängerin ein, auch die Leser werden so auf unaufdringliche Art durch die Geschichte gezogen und mit Informationen versorgt. Es macht großen Spaß beide Figuren, die ja eigentlich eins sind, kennenzulernen und festzustellen, wie unterschiedlich sie in manchen Punkten sind und wie ähnlich in anderen. Sie besitzen beide die gleichen Talente und eine organisierte Denkweise. Dadurch, dass Myfanwy aber verschiedene traumatische Erlebnisse ihrer Vorgängerin fehlen, erlebt man sie viel selbstbewusster, stärker und den Ton angebend, während die Vorgängerin sehr scheu, duckmäuserisch und ängstlich war. Damit gibt einem der Autor auch etwas zum Nachdenken darüber, was eigentlich die Persönlichkeit ausmacht und formt.


Was mich sehr überrascht hat ist wie gut es Daniel O’Malley gelingt eine weibliche Heldin zu erschaffen. Oft stolpere ich in Romanen in denen Autoren Protagonisten des anderen Geschlechts beschreiben, weil es immer mal wieder Dinge gibt die einfach „knapp daneben“ wirken. Dinge bei denen ich denke „so etwas würde eine Frau so nicht sagen oder tun“ oder auch im umgekehrten Fall „so etwas würde ein Mann so nie machen“. Da kann man noch so gleichberechtigt orientiert sein, es gibt Dinge, die gehen Männer und Frauen unterschiedlich an. Bei The Rook jedenfalls ist die Protagonistin so konstant glaubhaft, dass ich zwischendurch gemutmaßt habe Daniel O’Malley müsse das Pseudonym einer Autorin sein.

Nachdem ich nun so viel über Myfanwy geredet habe, könnte man meinen die übrigen Charaktere hätten nicht viel zu bieten. Aber das wäre ein echter Trugschluss. Der Autor hat viele, unheimliche und spannende und beeindruckende Figuren erschaffen, die allesamt sehr lebendig sind. Zum Beispiel Myfanwys direkten Kollegen „Gestalt“, der (oder die) vier Körper mit einem einzigen Geist ist. Oder das machomäßige Ekelpaket, das vor Myfanwy die Büroräume bewohnt hat und giftige Substanzen durch die Haut ausscheidet. Oder aber die Grafters, die alten Feinde der Checquy, die es mit den Experimenten eines Dr. Frankenstein viel, viel weiter getrieben haben und inzwischen organische Materie nach Belieben zerlegen und zusammensetzen können. Da gibt es eine Szene mit dem Oberhaupt der Grafters … gleichermaßen abstoßend wie zum Brüllen komisch!

Fazit:
The Rook ist ein wirklich rundum gelungenes Buch das ich jedem empfehlen werde, der gerne in der urbanen Fantasy unterwegs ist, actionreiche Handlungen sucht, Geheimagenten bei der Arbeit mag und dabei, trotz zum Teil trauriger Begebenheiten die den Ernst des Lebens so ausmachen, auch mal lachen darf. Definitiv eine der besten Entdeckungen in meinem Buchregal.

Wissenswerte Nebeninfo:
Der Roman ist zwar der erste Teil einer Reihe, kann aber getrost als Einzelband gelesen werden. Die Haupthandlung wird vollständig abgeschlossen, es gibt aber genügend Ansatzmöglichkeiten für eine hoffentlich ebenso spannende Fortsetzung.